Sterbehilfe - Sterbefasten

Dr. Ambros Greiner

 

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Dr. Ambros Greiner, der die Palliativstation an der Helios St. Elisabeth Klinik in Hünfeld aufgebaut und bis zu seinem Ausscheiden geleitet hat, referiert beim Palliativförderverein Hand in Hand Hünfeld über das Sterbefasten. Er beleuchtet anhand konkreter Beispiele die medizinischen und juristischen Aspekte dieser Art des selbstbestimmten Sterbens, des begleiteten Suizids. Er geht auf die möglichen ethischen, moralischen und religiös verursachten Konflikte ein, die sich für Patienten, Angehörige und das medizinische, pflegerische Personal bei dieser Form der Sterbebegleitung ergeben können.

 

Bereits im 5. Jahrhundert vor Christus wurde in Griechenland der Begriff Euthanatos – der gute Tod – geprägt. Dies drückt den Wunsch jedes Menschen damals wie heute aus, nach einer erträglichen letzten Lebensphase einen leidfreien Tod, ein gutes Sterben als Schlusspunkt des irdischen Lebens zu haben.

Herrmann Hesse beschreibt das sanfte Sterben als gewünschtes, ersehntes Lebensende nach leidvoller letzter Lebensphase so: Einschlafen dürfen, wenn man müde ist eine Last fallen lassen, die man lange getragen hat ist eine wunderbare Sache.

Dies spiegelt auch eine repräsentative Umfrage bei mehr als tausend palliativ betreuten Patienten wider. Diese wurden nach ihren wichtigsten Wünschen in der letzten Lebensphase befragt. Dabei kristallisierten sich die folgenden Kernaussagen schwerkranker Menschen heraus:

  • Sterben ohne leiden zu müssen (keine Schmerzen
  • Sterben in vertrauter Umgebung inmitten nahestehender Menschen (nicht alleine sein)
  • spirituelle Fragen geklärt wissen (den Frieden mit Gott finden)
  • Regelung letzter Dinge (Versöhnung, familiärer Frieden)
  • bei klarem Bewusstsein bleiben

Es gibt auch scherzhafte Schilderungen letzter Lebenswünsche:

So will ein Österreicher angeblich in Skistiefeln aus dieser Welt gehen, ein Deutscher friedlich nachts im warmen Bett und ein Franzose mit 85 Jahren beim Seitensprung vom eifersüchtigen Ehemann erschossen werden.

Sterbefasten ist ebenfalls eine von Patienten gewünschte spezielle Form, aus dem Leben zu gehen. Für Betreuende ist es eine Art der Sterbehilfe und Sterbebegleitung. Wichtig ist festzuhalten, dass es sich bei dieser Betreuung Schwerstkranker stets um eine Hilfe beim, nicht zum Sterben handelt. Um den Weg des Sterbefastens besser verstehen zu können, darf zu Beginn weiterer Ausführungen zum Thema ein konkreter Fall einer Patientin geschildert werden.

Zur Betreuung kam eine 74-jährige Frau, früher Krankenschwester, verheiratet, keine Kinder. Sie litt an einer bösartigen, unter Behandlung fortschreitenden Bluterkrankung. Sie hatte sich, auch mittels Patientenverfügung, entschlossen, keine weiteren medizinischen Maßnahmen der Lebenserhaltung und -verlängerung mehr zuzulassen. So lehnte sie jegliche Medikation und Infusionsbehandlung ab. Sie stellte gleichzeitig jegliche Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme ein. Angebote einer Zufuhr per Tasse oder Löffel wehrte sie strikt ab. Sie zog sich komplett in sich zurück, reagierte nicht auf Ansprache und sprach selbst kein Wort mehr, obwohl bei Bewusstsein.  Sie hatte sich eindeutig entschlossen, aus dieser Welt zu gehen.

Auch wenn es dem Ehemann schwer fiel, musste er nach und nach, ebenso wie wir, das betreuende Team, diesen Willen der Patientin akzeptieren.

Das Bewusstsein der kranken Frau trübte sich zunehmend ein. Nach sieben Tagen des Sterbefastens ohne Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr starb sie friedlich, vom Palliativteam kontinuierlich ärztlich und pflegerisch betreut.

 

Sterbefasten ist definiert als bewusster Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit als eine Möglichkeit des selbstbestimmten Sterbens in Würde.   

Im Buddhismus ist das gewählte Sterben durch Nahrungsverzicht im übrigen die einzig erlaubte Form des freiwilligen Scheidens aus dem Leben und wird das „Sterben der Weisen“ genannt. Dies ist ein Hinweis auf die wichtige Feststellung, dass Sterbefasten keineswegs sinnvoll ist für jüngere lebensmüde Menschen.

 

Sterbefasten ist denkbar geeignet für schwerkranke, in todesnaher Situation befindliche, betagte Patienten, die bereits komplex palliativ-medizinisch versorgt sind.  Selbstverständliche Voraussetzung für einen derartigen Entschluss ist, dass betroffene Menschen klar urteilsfähig und aufgeklärt sind. Sinnvoll ist das Vorliegen einer Patientenverfügung,die den Entschluss dokumentiert für die zu erwartende Phase der Urteilsunfähigkeit.

Von höchster Wichtigkeit ist das Einbinden von Angehörigen und des versorgenden ambulanten Pflegeteams.

Sterbefasten könnte somit eine „Alternative“ eines selbstbestimmten Weges am Lebensende sein und steht im Gegensatz zu Maßnahmen, die den unmittelbaren Todeseintritt als Ziel haben. Denn binnen der ersten 2 bis 3 Tage kann dieser Weg jederzeit abgebrochen werden ohne bleibende körperliche Schädigung.

Sterbefasten ist also eine Form der Sterbehilfe im Sinne der Sterbebegleitung basierend auf dem Wunsch von Menschen den Eintritt des Todes „ nicht unnötig“ in die Länge ziehen zu wollen. Sterbehilfe ist definiert als Handlungen und Unterlassungen, welche zum Ziel haben oder in Kauf nehmen, die Lebensspanne eines auf den Tod kranken Menschen zu verkürzen bzw. den Tod herbeizuführen.

 

Was geschieht medizinisch, biologisch beim Sterbefasten?

Im Vordergrund steht der eintretende Verlust an Körperflüssigkeit. Der durchschnittliche Flüssigkeitsbedarf eines Menschen wird mit 20 bis 25 ml/kg/Tag angegeben. Dem Organismus fehlen somit täglich ca. 1500 ml an Flüssigkeit. Dieses Defizit führt zum Nierenversagen, zusammen mit dem Mangel an kalorischen Nährstoffen zur Übersäuerung des Körpers. Schließlich tritt das Versagen von Herz- und Kreislauffunktion ein, was den Tod nach 5 bis 20 Tagen erwarten lässt.

Wichtig ist festzuhalten, dass eine sog. Katabolie eintritt mit deutlich vermindertem Durst- und  Hungergefühl. Der Überschuss an Körperschlacken im Rahmen des Nierenversagens macht den Patienten schläfrig und zunehmend bewusstseinstrüb. Die aus dem Heilfasten bekannte Endorphinausschüttung führt zu einer gewissen Entspannung und mindert insgesamt den Leidensdruck der Betroffenen.       

 

Selbstverständlich bedarf der Patient, der sich zu diesem Weg entschlossen hat, kontinuierlicher ärztlicher und pflegerischer Betreuung. Von Bedeutung sind hierbei Mundpflege, Lagerung auf Spezialmatratze sowie die Behandlung von Schmerzen und etwaiger Unruhe.   

Die Betreuung der begleitenden Angehörigen ist von zentraler Bedeutung, um diesen Sorgen und Ängste, soweit möglich zu nehmen und in jeder Weise Unterstützung anzubieten.   

Essen und Trinken anzubieten ist seit Säuglingszeiten ein elementares Bedürfnis von betreuenden Menschen im Sinne von Fürsorge und liebevoller Zuwendung. Dieses nicht mehr tun zu können, löst bei Angehörigen ein Empfinden der Hilflosigkeit aus. Sie fühlen sich mitverantwortlich am Geschehen. Hinzu kommt die Angst, dass ihr naher Angehöriger einen qualvollen Tod durch Verdursten und Verhungern zu erwarten hat.   

Hier kann betreuenden Angehörigen Entlastung gegeben werden durch Aufklärung über das verminderte Durstempfinden und die gegebenen medizinischen Möglichkeiten der Begleitung.    

 

Zum Abschluss der Ausführungen zum Thema Sterbefasten soll eine Einordnung und Bewertung versucht werden, in dem Wissen, dass dieser Weg aus dem Leben nicht nur für Angehörige sondern auch für die medizinischen Berufe eine besondere Belastung darstellen kann.  Der Arzt ist berechtigt, das Sterben zu begleiten im Sinne liebevollen Unterlassens (BGH 6/2010).

Er ist demnach z.B. nicht in der Pflicht, einen Menschen gegen seinen Willen künstlich mit  Nahrung und Flüssigkeit zu versorgen. Es wird beim Zulassen des Sterbens durch Fasten nicht Beihilfe zum Suizid geleistet. Es ist keineswegs geboten, einen Menschen, der sich zu Tode hungern will, gegen seinen Willen zu ernähren, wenn der oder die Betroffene aus freiem Willen handelt (Tolmein 1.16 Medizinrecht).   

Rechtlich liegt beim Sterbefasten eine Art der Selbsttötung vor. Diese ist jedoch nach der gegebenen Rechtslage möglich auf dem Boden freier Verantwortlichkeit und einer klaren Willenserklärung z.B. durch Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sowie gegebenenfalls ergänzt durch die sogenannte Modifizierung der Garantenpflicht. Letztere entbindet betreuendes Fachpersonal bei Eintreten der Bewusstlosigkeit, eingreifen zu müssen.

 

Auch die Bundesärztekammer führt hierzu aus: Das Sterben darf durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung ermöglicht werden, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht.  Dies gilt auch für künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr.

 

Was bewegt Menschen, den letzten Weg auf diese Weise zu gehen? 

Häufige Motive sind: Hoffnungslosigkeit; das Gefühl, zur Last zu fallen; Angst vor dem Verlust der Würde; das Gefühl der Sinnlosigkeit des Weiterlebens mit unnötigem Leiden.   

Diese Menschen wollen nicht warten auf den Tod, sondern selbstbestimmt sterben. Im Gegensatz zu einem abrupt herbeigeführten Lebensende wird ein sozusagen natürliches Sterben in Würde angestrebt.   

 

Nicht unerwähnt bleiben dürfen in diesem Zusammenhang die jeweiligen Einschätzungen der beiden großen kirchlichen Gemeinschaften in unserem Land.

So führt der Rat der evangelischen Kirche aus: Selbsttötung ist aus christlicher Perspektive grundsätzlich abzulehnen. Diese Ablehnung schließt nicht aus, dass ein Mensch in extremer Not- und Ausnahmesituation zu einer anderen Entscheidung kommen kann, die ein Außenstehender nicht ermessen kann und die es zu respektieren gilt.

Die katholische Kirche vertritt den Standpunkt: Suizid ist eine Verfehlung gegen die Eigenliebe. Der Mensch ist nur Verwalter, nicht Eigentümer des von Gott anvertrauten Lebens. Er darf daher darüber nicht verfügen. Auch Beihilfe zum Suizid ist ein Verstoß gegen das sittliche Gesetz.

 

Letztendlich bleibt der Wunsch seit tausenden von Jahren nach einem guten Sterben. Die Wege zu diesem Ziel sind so individuell wie das Leben jedes Menschen auch einzigartig ist.

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