Die Pflegeversicherung, die fünfte Sozialversicherung, eingeführt zum 1.1.1995, wird ständig fortgeschrieben und der gesellschaftlichen Entwicklung angepasst. Die letzte Reform wurde vom Bundestag in 2021 beschlossen. Sie wird im Großen und Ganzen zum 1.1.2022 wirksam werden.
„Welche Leistungen aus der Pflegeversicherung stehen einem zu, der pflegebedürftig ist?“ Eine beachtliche Zahl von Interessenten hatte sich letzte Woche trotz widrigster Witterung in Wüstensachsen im „Gasthaus zur Wasserkuppe“ eingefunden, um Antworten auf diese Frage zu bekommen. Der Palliativförderverein Hand in Hand Hünfeld hatte zu einem Infoabend eingeladen. Sein 1. Vorsitzender, Rechtsanwalt Michael Greiner referierte. Er ist beruflich als Geschäftsstellenleiter des Bundesverbandes Ambulante Dienste und stationärer Einrichtungen nah dran an diesem Thema.
Immer wieder müsse man erfahren, so Michael Greiner, dass Leute schwer krank sind, aber sie selbst und ihre Angehörigen keine umfassende Ahnung hätten, welche finanziellen Hilfen sie abrufen können. Er benutzte für seine Darstellungen das Bild von „Finanztöpfen“. Zwangsläufig musste er in seinem Vortrag viele Zahlen nennen und auf Tabellen verweisen. Diese wiederzugeben, würde diesen Bericht sprengen. Es wird auf die Homepage des Palliativfördervereins verwiesen, wo unter dem Register „Wegweiser“ diese im Detail aufgeführt sind (s. Kasten). Vier Töpfe habe der Gesetzgeber für Pflegebedürftige bereitgestellt, die in ihrer „Häuslichkeit“ (1) gepflegt werden, ein Topf stehe zur Verfügung für die Finanzierung der Pflege in einer stationären Einrichtung.
Aus dem ersten Topf werden die Pflegesachleistungen(Gemeint sind damit in der Hauptsache die Dienstleistungen von mobilen Pflegediensten, nicht die Pflegehilfsmittel!) oder das Pflegegeld bezuschusst. „Bezuschusst“ bedeutet: Die Finanzleistungen der Pflegeversicherung sind gedeckelt. Diese Versicherung ist nämlich nur eine „Teilleistungsversicherung“. Wer also einen Vertrag mit einem mobilen Pflegedienst abschließt, der Kosten verursacht, die höher sind als der von der Versicherung vorgesehene Höchstbetrag, muss den überschießenden Betrag aus eigener Tasche bezahlen. Zum 1.1.22 werden einzig die Leistungen für die Pflegesach-leistungen um durchgehend 5% erhöht. Damit habe der Gesetzgeber im Vorgriff einen Ausgleich schaffen wollen für eine zum 1.9.22 zu erwartende Kostensteigerung. Ab September nächsten Jahres muss nämlich jeder Anbieter von Pflegediensten sein Personal nach Tarif oder in Orientierung an einen Tarif bezahlen. Alle Dienstleister, die bisher untertarifliche Löhne bezahlt haben, werden ihre Vergütungssätze an diese neue Situation anpassen müssen.
Aus dem zweiten Finanztopf, so der Referent, werden die Verhinderungspflege und die Kurzzeitpflege bezuschusst. Damit berücksichtigt der Gesetzgeber den „Alltag“ der Pflegenden, meist nahe Angehörige, es können aber auch Freunde, Nachbarn oder sonstige hilfsbereite Mitmenschen sein.
Aus welchen Gründen auch immer diese Personen verhindert sind, ihrer auf sich genommenen Pflicht nachzukommen, dem Pflegebedürftigen steht dann zu, dass er sich andere Personen verpflichtet oder einen mobilen Pflegedienst, oder er kann für kurze Zeit in eine stationäre Einrichtung gehen. „Die Pflegeversicherung hat kein Recht,“ so Greiner, „angegebene Verhinderungsgründe anzuerkennen oder abzulehnen.“
Die sog. Entlastungsleistungen werden aus einem 3. Topf finanziert. Monatlich können 125€ für ganz unterschiedliche Zwecke und Dienste in Anspruch genommen werden. Das Geld kann nicht bar ausgezahlt werden. Die Kasse zahlt nur nach Vorlage der vom jeweiligen Dienstleister quittierten Zahlungsbelege. Restbeträge können „angespart“ werden.
Ergänzend zu den Leistungen der ambulanten Pflege in der eigenen Häuslichkeit können Versicherte eine Tages- oder Nachtpflege aufsuchen. Dies muss nach Antrag von der Pflegekasse bewilligt werden. Die Aufwendungen dafür werden aus einem 4. Topf finanziert.
Die Kosten für eine vollstationäre Pflege setzen sich aus bis zu sechs Teilpositionen zusammen. Eine dieser Positionen ist der „pflegebedingte Eigenanteil“, der von Pflegegrad 2 zu Pflegegrad 5 höher wird. Die Pflegeversicherung deckt aus einem 5. Topf nur einen Teil der Pflegekosten. Die Sätze der Beteiligung der Pflegeversicherung für die Pflegekosten sind nicht angehoben worden. Neu zum 1.1.22 ist aber, dass die Pflegeversicherung einen Zuschlag zum pflegebedingten Eigenanteil bezahlt, gestaffelt nach der Verweildauer in der stationären Einrichtung, mit 5% beginnend über 25%, 45% bis zu 70%. Das wirkt sich für den Pflegebedürftigen als Minderung seiner finanziellen Belastung aus.
In diesem Bericht kann aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden, was Michael Greiner zu der Kombinierbarkeit bzw. Nichtkombinierbarkeit der einzelnen Leistungen ausgeführt hat, zur Begrenzung, zum Verfall der Ansprüche, zur Möglichkeit des Ansparens. Im jeweils konkreten Fall soll der Pflegebedürftige sein Recht auf Pflegeberatung wahrnehmen.
Musste bisher jeder Versicherte nur nach Beantragung der Feststellung des Pflegegrades auf die Möglichkeit einer Beratung hingewiesen werden, so muss er ab 1.1.22 bei jeder Beantragung einer der oben aufgeführten Leistungen von der Versicherung aufs Neue auf die Möglichkeit einer Beratung aufmerksam gemacht werden. Wer Wert darauf legt, nicht von einem Dienstleister, sondern von einer neutralen, trägerunabhängigen Stelle beraten zu werden, kann sich als Versicherter an den Pflegestützpunkt Landkreis Fulda wenden (s. Kasten).
Anmerkung:
(1) "Häuslichkeit“ meint: Die häusliche Pflege findet in der eigenen Wohnung, in der Wohnung eines Kindes, eines Lebenspartners, Freundes, in einer Pflege-WG statt.